Kalligraphie - Überraschung!!
Heute habe ich ein ganz besonderes Schmankerl für Kalligraphie- und Typographie - LiebhaberInnen, die sich für Schriftgeschichte und Historisches aus der Schriftszene interessieren!
Ich bin sehr zufällig auf das Thema gestoßen, als ich kürzlich ein paar Tage Urlaub auf der Schwäbischen Alb im Lautertal bei Münsingen gemacht habe. Zum Abendessen gingen wir in den Hirsch in
Bichishausen.
Wir waren vorher noch nie da, umso erstaunter war ich, als ich die Speisekarte in die Hand nahm! Seht selbst!
Die erste Seite zeigt die Legende von Hand gezeichnet, der Innenteil die gedruckten Typen.
Wer erwartet auf der Karte eines Landgasthofs die Schneidler Legende? Ein Augenschmaus! Erst war ich irritiert, dann doch ein bisschen aufgeregt.
Ein kleiner Textblock auf der Karte brachte ein bisschen Licht ins Dunkel:
Schneidler lehrte in Stuttgart und lebte auf der Schwäbischen Alb
Natürlich musste ich sofort den Wirt fragen, was es damit auf sich hatte. Es stellte sich heraus, dass Ernst Schneidler in Gundelfingen von 1920 bis zu seinem Tod 1956 gelebt hatte. Der Wirt des Hirschen, Alfred Tress, ist nicht nur ein exzellenter Koch, sondern auch ein Schrift- und Kunstliebhaber. Er besitzt einen kompletten Bleisatz der Legende und einige wunderbare Abzüge von Schriften. Alles schön gerahmt und präsentiert im Nebenzimmer seines Gastraums:
Unbedingt im Landgasthof Hirsch einkehren!
Also: Wer in der Nähe der Mittleren Schwäbischen Alb / Lautertal vorbeikommt, sollte sich das nicht entgehen lassen. Ganz abgesehen davon, dass es sich sowieso lohnt, im Hirsch einzukehren: Der Service ist schnell und freundlich, das Essen hervorragend!
Das Schneidler - Haus heute
Das Schneidlersche Haus ist nicht mehr bewohnt, es thront über der Straße in einer Kurve und man kann sich gut vorstellen, wie hier einst Schriftgeschichte geschrieben wurde. Es wirkt sogar etwas gehimnisvoll...
Eine Hinweistafel in der Nähe weist auf den prominenten Bewohner des Lautertals hin, wenn man erst einmal focusiert ist, führt ein Hinweis zum nächsten.
Schneidlers Biographie
Ein gekürzeter Abriss von Schneidlers Biographie (Quelle: wikipedia) liest sich folgendermaßen (gekürzte Fassung):
Schneidler studierte an der Kunstgewerbeschule Düsseldorf Architektur bei Peter Behrens, später war er Schüler bei Fritz Helmuth Ehmcke. Ab 1905 arbeitete er als Lehrer in Solingen und zog 1909
nach Barmen. Im Ersten Weltkrieg war er Soldat.
1920 erfolgte seine Berufung an die Württembergische Staatliche Kunstgewerbeschule als Vorstand der Fachabteilung für graphische Künste und Buchgewerbe und als Professor. Schneidler gründete 1925
die Juniperus-Presse.
Schneidlers Hauptwerk, eine Sammlung von Studienblättern für Büchermacher, die den Namen Der Wassermann erhielt, kam nach Kriegsende in vier Abteilungen (Kassetten) nach Sachgebieten geordnet –
bei nur fünf vollständigen Exemplaren – mit etwa 60 unvollständigen Exemplaren in den Handel. (Dieses Werk ist einsehbar in der Bibliothek der Hochschule der Medien HdM, Stuttgart. Anm.
Bengel)
Trotz seiner NSDAP-Mitgliedschaft ab 1939 und der Aufnahme in die Gottbegnadeten-Liste ("Führerliste") der wichtigsten Gebrauchsgrafiker des NS-Staates[1] erhielt Schneidler 1946 bei der
Wiedereröffnung der Staatlichen Akademie der Bildenden Künste Stuttgart die Lehrerlaubnis, nachdem die amerikanische Militärregierung die Weiterbeschäftigung „anheimstellt“. Im
Entnazifizierungsverfahren wurde er als „Mitläufer“ eingestuft. Schneidler wurde auf seinen Antrag hin 1948 in den Ruhestand versetzt, erklärte sich aber bereit, den Unterricht bis zur Klärung
der Nachfolgefrage (die 1949 mit der Berufung von Walter Brudi und Eugen Funk erfolgte) weiterzuführen.
Schneidler verstarb im Januar 1956 durch einen Treppensturz im eigenen Haus.
Sein Credo: Anfangen, anfangen, immer wieder mit Ernst anfangen.
F. H. Ernst Schneidler gilt als Begründer einer sogenannten Stuttgarter Schule auf dem Sektor graphischer Gestaltung. Im Vergleich zu der am Bauhaus und von der " Neuen
Typographie" (z. B. Willi Baumeister) in den zwanziger Jahren propagierten Auffassung vertrat er eine eher konservative Linie, die selbst dort spürbar blieb, wo er "modern" sein wollte. Seine
Schüler waren u. a.: Walter Brudi, Eric Carle, HAP Grieshaber, Imre Reiner, Rudo Spemann, Georg Trump. Eric Carle sagte über sein Studium: "Nach der verhassten Schule
habe ich acht Semester bei Professor Ernst Schneidler an der Akademie der Bildenden Künste in Stuttgart studiert. Das waren die prägendsten und glücklichsten Jahre."[3] Eric Carle ist übrigens
der Autor von "Kleine Raupe Nimmersatt" (Anm. Bengel)
Im Jahr 2011 würdigte die Staatliche Akademie der Bildenden Künste Stuttgart sein Schaffen mit der Ausstellung Buch – Kunst – Schrift: F. H. Ernst Schneidler in der
Württembergischen Landesbibliothek Stuttgart.[4] 2013 wurde die Ausstellung im Klingspor-Museum in Offenbach am Main wiederholt und durch einen Ausstellungskatalog ergänzt.[5]
Schneidler inspiriert zeitgenössische Kalligraphen
Schneidler beschäftigt heute immer noch die Typographen und Kalligraphen mit seinem Werk, so hat sich der zeitgenössische amerikanische Kalligraph Carl Rohrs in seinem Werkbuch "Modern Moves from 20th Century Masters" mit der Legende auseinandergesetzt und sie ins 21. Jahrhundert "übersetzt".
Foto mit freundlicher Genehmigung Carl Rohrs.
Wenn dir dieser blogpost gefällt, kannst du ihn gerne teilen.